Die bunten Socken kommen - Nachrichten - DIE WELT

NRW

Artikel vom / Ausgabe 18 / Seite 12

Die bunten Socken kommen

Strumpfhersteller Atair aus Steinfurt ist einer der Marktführer im Land. Noch mehr Erfolg soll der Mut zur Farbe bringen

Normalerweise stellt man Männern ja nicht die Frage nach dem, was sie darunter tragen. Aber in dem Fall muss es einfach sein. Schließlich will man doch wissen, auf welchen Socken einer der führenden Fußbekleidungshersteller Deutschlands unterwegs ist, oder? Kein Problem - Reiner Baumbach lehnt sich zurück, streckt das Bein, zieht die Jeans bis zur Wade hoch und schon leuchtet die gewirkte Ware in Quietschegelb, das gerippte Bündchen trumpft in Himmelblau auf.

Colour-Blocking heißt die zweifarbige modische Extravaganz im Fachjargon. Und damit kennt sich der Chef der Atair-Gruppe aus. Seit 25 Jahren wirkt oder strickt er (wie der Laie sagt) Strümpfe. Mittlerweile sind es 60 Millionen Paar pro Jahr. Allein im vergangenen Jahr stieg der Umsatz des Steinfurter Strumpf-Spezialisten im westfälischen Münsterland um 12,3 Prozent auf 42,8 Millionen Euro - Tendenz steigend.

Doch wer ist Atair? Klar, Sternengucker wissen, dass Atair der hellste Stern im Sternbild Aquila (Adler) und überhaupt der zwölfthellste Stern am Nachthimmel ist. Atait ist aber auch nach Falke aus Schmallenberg einer der Marktführer auf dem Strumpfmarkt. Bislang machen Baumbach und sein Partner Günter Hacke 80 Prozent des Geschäftes mit Lizenzpartnern wie Camel Active, Bugatti oder Tom Tailor und vor allem im Private-Label-Bereich. Wer im Super- oder Drogeriemarkt, im Warenhaus oder Versandhandel ein Paar der dort gängigen Handelsmarken kauft, hat meist ein Produkt aus Steinfurt im Einkaufskorb. Wobei die Produktion überwiegend im eigenen Unternehmen in Ivanijca/Serbien mit 450 Mitarbeitern vor Ort läuft. Jede vierte Damen-Socke in Deutschland ist von Atair.

Doch das reicht dem kreativen, 59 Jahre alten Unternehmer längst nicht mehr. Er will den Strumpfmarkt revolutionieren. "Die Socke soll sexy und nicht nur sinnvoll sein." Denn immerhin wärmt der Strumpf in erster Linie den Fuß, schützt ihn vor Dreck und Blasen, er saugt den Schweiß auf, er federt den Tritt, ist das Polster zwischen Fuß und Schuh. Dennoch ist der Strumpf das wohl am meiste vernachlässigte Kleidungsstück, einfach ein nützliches, aber langweiliges Produkt. "Man regt sich allenfalls auf, wenn mal wieder das Gegenstück in der Waschmaschine verschwindet", sagt Günter Hacke.

"Das Produkt selbst rückt in den Hintergrund", sagt Baumbach. "Es ist austauschbar und dem Endverbraucher letztlich egal, von welchem Hersteller es kommt." Stattdessen komme es auf Mehrwert und Zusatznutzen, Themen, Positionierung und Präsentationsformen, sprich Vermarktungskonzepte an. Also muss das Image poliert werden. Das Steinfurter Familienunternehmen mit 65 Mitarbeitern im NRW-Verwaltungs- und Logistik-Zentrum, macht sich forsch auf die Socken. Mit eigenen Marken wie dem Streetwear-Sockenlabel FussVolk ("anders, eigenwillig, originell") und den verführerischen Damenstrümpfen von My mischen sie bereits den Markt auf. "Wir müssen anders sein, wer unsere Socken sieht, muss glatt von den Socken sein", sagt Baumbach.

Er hat nicht die 08/15 Teile im Sinn, mit denen die Billigkonkurrenz aus Fernost den Markt überschwemmt und die nach der ersten Wäsche um den Knöchel schlabbern. Der Strumpf soll vielmehr zum modischen Qualitäts-Kleidungsstück avancieren. "NC 56" heißt das neueste Baby aus dem münsterländischen Design-Atelier. Während einer Reise nach Kopenhagen kam dem Chef, begeistert von den freundlichen und lebenslustigen Dänen, die zündende Idee: "NC 56 steht einmal für North Coast Copenhagen, zum anderen liegt Kopenhagen auf dem 56sten Breitengrad. Beides zusammen ergibt NC 56."

Eine Name allein hat nicht das Zeug zum Erfolg. Was ist mit den Socken? Bunte Töne sind gefragt, zwölf verschiedene hält die Palette bereit. Die Überraschung liegt auch im Detail. So zieht sich der sprichwörtliche "rote Faden" durch jedes einzelne der in Portugal und Italien gefertigten Modelle. Neben der Farbvielfalt, Vintage-Logo-Prints, modischen Strickelementen, kleinen Flaggensymbolen und dem Spiel mit angesagten Colour-Blockings gibt es auch ausgefallene Teile für die Damen: so etwa Ballerina-Formen, Strümpfe mit Stulpeneffekt oder Leggins mit Ajour-Strukturen, die Spitze aussehen.

Reiner Baumbach hat als Kunden ganz besonders die Männer im Fokus, ihnen will er auf die Sprünge helfen. Nachdem nun alle Welt bereits in roten und grünen Hosen unterwegs ist, glaubt er an den langfristigen Trend: Farbige Socke. "So wie Krawatte oder das Einstecktuch wird der Strumpf zum modischen, spaßvollen Accessoire."

Für englische Gentlemen und Adlige war die rote Fußbekleidung bereits zu früheren Zeiten ein beliebter Fashion-Gag. Modische Konventionen und Dress-Codes wurden abgelehnt und die Wertschätzung von individuellem Stil betont. So war auch SchriftstellerOscar Wilde ein Anhänger der außergewöhnlichen Beinkleider gewesen - vielleicht weil Rot die Farbe ist, die Energie, Kraft und Leidenschaft ausdrückt.

Ob Rippe oder glatt, ob Söckchen oder Stoppersocken, Füßlinge oder Kompressionsstrümpfe Farbe am Fuß muss sein - egal ob Petrol, Grasgrün, Signalrot, Blutorange, Meerblau. Was die modemutigen Briten schon lange zelebrieren, prägt schon in dieser Saison das Straßenbild von Plön bis Passau: Geringeltes, Gestreiftes und wild Gemustertes und vor allem Buntes blitzt aus hochgekrempelten Chinos. Sogar der Business-Mann im dunklen Zwirn, der auf großem Fuß lebt, kann es sich erlauben, leichtfüßig auf Gute-Laune-Socken unterwegs zu sein. "Der Mann braucht Stil-Brüche und vor allem Muntermacher im Alltag", verkündet Reiner Baumbach. Ton in Ton zur Schuhfarbe ist demnach out.

Zwar hält sich hartnäckig Schwarz als die gängige, klassische Farbe, mit der man nichts falsch machen kann. Aber offenbar haben führende Handelshäuser von München bis Hamburg, darunter auch das KaDeWe in Berlin auf die farbenfrohe Auffrischung ihres Sortiments aus Steinfurt gewartet. Ab Juli ist die neue, auffallend verpackte Ware aus Baumwolle und Lycra erhältlich, zu Preisen ab acht Euro für eine Basic-Socke.

"Der Socke steht eine glänzende Zukunft bevor", prophezeit Reiner Baumbach, verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Faser und Funktion sind die Entwicklungs-Felder für gewiefte Tüftler. Denn vor allem die Frauen setzen auf modische und zugleich funktionelle Beinkleider, weiß der Experte. Ein Hit sind demnach die modellierenden Bauch-Beine-Po-Strumpfhosen, die Pölsterchen kaschieren helfen. Gefragt ist alles, was einen Mehrwert bietet - von der Baumwolle, die den Fuß im Sommer kühlt, von den stützenden Modellen, die sich positiv auf die Blutzirkulation auswirken bis hin zu den neuesten Modellen aus dem Labor, die Wirkstoffe gegen Fußpilz abgeben. "Mit Socken wird es eben nie langweilig", sagt Reiner Baumbach.

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